4. November 2024

Zeit als Fluss oder Weg – Wie der Wechsel der Zeitkanäle unser (Arbeits-)Leben bereichern kann

Die Zeit vergeht wie im Flug. Kaum ist der Sommer vorbei, steht schon wieder Weihnachten vor der Tür. Aussagen wie „Wir werden immer schneller älter“ oder „Das Jahr fliegt nur so vorbei“ deuten darauf hin, dass die Zeit scheinbar an uns vorbeirast oder uns Ereignisse überraschen und überwältigen. Diese Wahrnehmung entspricht dem sogenannten Flux-Modus, einem von zwei „Zeitqualitäten“. Geprägt durch unseren Kulturkreis scheinen wir auf diesen Modus weniger Einfluss zu haben als auf den Iter-Modus, die zweite Zeitqualität. Im Iter-Modus bewegen wir uns aktiv durch die Zeit – wir planen und strukturieren sie. Diese beiden Begriffe werden insbesondere in der Systemischen Strukturaufstellung und Zeitkanalarbeit nach Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer verwendet, um unterschiedliche „Zeitqualitäten“ zu beschreiben.

 

Doch wie machen sich diese Modi in unserem Alltag bemerkbar, besonders im Arbeitsleben? Und welche Vorteile kann der Wechsel zwischen diesen beiden „Zeitkanälen“ bringen?

 

Flux-Modus: Im Fluss der Zeit treiben

 

Flux kommt vom lateinischen Wort fluxus, was „Fluss“ oder „Fließen“ bedeutet. Im Flux-Modus haben wir oft das Gefühl, dass Ereignisse uns überrennen, dass uns etwas einholt oder überholt. Die Zeit umfließt uns wie ein Fluss, während wir selbst stillstehen – ohne aktiv etwas dagegen oder dafür zu tun. In unserer hektischen Zeit kann das als belastend und schwierig erlebt werden, als wären wir den Umständen ausgeliefert. Diese Wahrnehmung kann jedoch auch positive Seiten haben, wenn uns das Leben unerwartet günstige Ereignisse beschert: Ein überraschendes Jobangebot, der Gewinn einer Reise oder die Begegnung mit einem neuen Partner oder einer neuen Partnerin sind Beispiele dafür, wie der Flux-Modus manchmal als „Glück“ oder „günstiges Schicksal“ erlebt werden kann.

 

Iter-Modus: Zeit einteilen und beherrschen

 

Im Gegensatz dazu steht der Iter-Modus, bei dem wir uns aktiv Ziele setzen und Schritt für Schritt darauf zubewegen, als würden wir einem festen Pfad folgen. Iter stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Weg“ oder „Reise“. Zeit wird hier als etwas Festes betrachtet, das sich planen, einteilen und messen lässt – in Minuten, Tagen, Monaten oder Jahren. Diese Zeitqualität begegnet uns besonders im Berufsalltag, wo Projektmanagement und Planungsarbeit dominieren. Hier haben wir das Gefühl, die Zeit zu beherrschen und sie zu unserem „Werkzeug“ gemacht zu haben.

 

Flux vs Iter

Flux vs Iter

Beispiel: Flux und Iter im Alltag positiv nutzen

 

Nehmen wir das Beispiel von Peter, der seinen Job verloren hat und nun auf der Suche nach einer neuen Herausforderung ist.

 

Im Iter-Modus würde er sich feste Ziele setzen: eine bestimmte Anzahl an Bewerbungen pro Woche verschicken, wöchentliche Netzwerktreffen vereinbaren und einen klaren Zeitrahmen festlegen, bis wann er einen neuen Job gefunden haben möchte.

 

Doch wenn ihm dieser strukturierte Ansatz zu belastend wird, könnte der Wechsel in den Flux-Modus eine Erleichterung bringen: Was geschieht außerhalb seiner geplanten Aktivitäten von selbst? Wer meldet sich bei ihm von sich aus? Was passiert in der Jobsuche, wenn er eine Woche Pause macht und er den Dingen ohne aktive Steuerung freien Lauf lässt?

 

Die Bereicherung findet statt, wenn Peter zusätzlich zum geplanten Zeiterleben den anderen Zeitkanal wahrnimmt. So eröffnen sich neue Möglichkeiten, und er kann die Jobsuche entspannter und offener gestalten.

 

Zeitkanal erkennen und wechseln

 

Grundsätzlich sind beide Zeitkanäle gleichwertig positiv. Wird jedoch einer von ihnen übermäßig betont, kann er als problematisch erfahren werden. Menschen drücken durch ihre Sprache aus, welchem Zeitkanal sie sich zugehörig fühlen oder welchen sie bevorzugen. Aufmerksames Zuhören kann helfen, zu erkennen, ob jemand sein Zeitempfinden im Problemmodus erlebt. Wenn ja, ist es möglich, durch gezielte sprachliche Impulse einen Wechsel des Zeitkanals anzuregen und so neue Lösungswege zu eröffnen.

 

Hier sind einige Anzeichen, an denen man einen Wechsel im Arbeitsalltag bemerken kann:

 

  • Veränderung der inneren Haltung zur Arbeit: Im Iter-Modus arbeiten wir strukturiert und zielorientiert an Projekten, setzen klare Meilensteine und halten Deadlines ein. Dieser Modus ist nützlich für Aufgaben, die eine genaue Planung und regelmäßige Fortschrittskontrollen erfordern, wie etwa Projektmanagement oder Reporting. Wenn wir jedoch in den Flux-Modus wechseln, lassen wir uns eher vom Prozess selbst leiten und sind offener für neue Entwicklungen und Ideen. Das ist hilfreich, wenn Kreativität gefragt ist oder wir Lösungen für komplexe Probleme suchen, ohne einen festen Plan zu haben.
  • Änderung der Kommunikation und Ausdrucksweise: Der Iter-Modus zeigt sich häufig in Meetings, in denen konkrete Ziele und nächste Schritte besprochen werden („Was ist der nächste Meilenstein?“ oder „Bis wann wollen wir das erreichen?“). Wenn das Team in den Flux-Modus wechselt, wird die Sprache häufig weniger strukturiert und eher explorativ („Lasst uns sehen, was sich ergibt“ oder „Vielleicht kommen noch neue Ideen dazu“). Diese Offenheit ist im Brainstorming oder in Konzeptphasen oft hilfreich.
  • Gefühl von Kontrolle oder Loslassen bei Projekten: Der Iter-Modus vermittelt das Gefühl, Projekte im Griff zu haben und durch klar definierte Aufgaben voranzukommen. Wenn man jedoch in den Flux-Modus wechselt, zum Beispiel in einer Phase, in der externe Faktoren das Ergebnis beeinflussen (wie Marktbedingungen oder Kundenfeedback), kann man sich eher zurücklehnen und abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Das Loslassen kann die Anpassungsfähigkeit fördern und zu überraschenden Erkenntnissen führen, die ohne diesen „Flow“ schwer zugänglich wären.
  • Körperliche Empfindungen am Arbeitsplatz: Im Arbeitskontext kann der Wechsel in den Flux-Modus sich durch Entspannung in stressigen Situationen bemerkbar machen, etwa wenn man bewusst eine Pause macht und den Druck loslässt. Der Iter-Modus hingegen bringt oft ein Gefühl der Fokussierung und Anspannung mit sich, zum Beispiel in intensiven Arbeitsphasen kurz vor einem Abgabetermin. Das bewusste Wahrnehmen dieser Empfindungen kann helfen, Überlastung zu vermeiden und den Arbeitsmodus gezielt zu wechseln.
  • Flexibilität und Reaktionsfähigkeit: Im Flux-Modus reagieren wir flexibler auf unerwartete Veränderungen, wie plötzliche Anfragen oder neue Projektanforderungen. Mitarbeiter*innen im Flux-Modus sind oft besser in der Lage, kurzfristig Lösungen zu finden oder „aus dem Bauch heraus“ zu entscheiden, was in agilen Umgebungen sehr nützlich sein kann. Im Iter-Modus hingegen halten wir an geplanten Abläufen fest und vermeiden Abweichungen, was bei fest definierten Aufgaben oder langfristigen Projekten von Vorteil ist.
  • Gefühl von Zeitfluss und Zeitstruktur im Arbeitsalltag: Der Iter-Modus strukturiert den Arbeitstag durch klar festgelegte Zeitblöcke und Prioritäten, oft unterstützt durch To-Do-Listen und Kalender. Dies ist nützlich in produktiven Phasen, in denen man effizient vorankommen möchte. Der Flux-Modus hingegen kann dazu führen, dass die Zeit „verfliegt“ und man weniger auf den exakten Ablauf achtet. Das kann hilfreich sein, wenn man sich auf kreative Aufgaben konzentriert oder in einer Aufgabe „aufgehen“ möchte, ohne ständig auf die Uhr zu schauen.

 

Den Wechsel zwischen Iter- und Flux-Modus meistern

 

Ein professionelles Coaching kann dabei unterstützen, den Übergang zwischen den beiden Zeitkanälen zu lernen und zu üben. Wer den Wechsel beherrscht, kann flexibel zwischen der Struktur des Iter-Modus und dem Fließen des Flux-Modus hin- und herwechseln und so beide Zeitqualitäten im Alltag bereichernd erleben.

 

 

Quelle: Text nach Matthias Varga von Kibéd

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